Die kleine Hexe kletterte aus ihrer Koje, setzte die nackten Füße in die ersten Sonnenstrahlen, die durchs Fenster fielen. Sie gähnte weit und lange und wühlte sich über die Stirn: Während der Nacht hatten die Haare der kleinen Hexe wieder einen wilden Spaziergang über ihren Kopf gemacht.
Auf dem Schrank saßen die beiden Tauben und steckten die Köpfe zusammen.
"Rguh!" gurrte die Taube Eva, "Rguh!" antwortete die Taube Heidi. Die kleine Hexe lachte.
"Guten Morgen! Und: Geht es euch gut?"
"Und: Geht es uns gut?" gurrte die Taube Eva. "Und: Uns geht es nicht gut!" gurrte die Taube Heidi. "Wir haben nicht geschlafen!" gurrten die beiden Tauben: "Gar nicht gut haben wir geschlafen!"
"Du bist zu laut, kleine Hexe! Du atmest zu laut! Du redest zu laut! Vor allem in der Nacht: Laut ist es, wenn Du Kartoffeln kochst! Laut ist es, wenn Du Dich wäschst: Die Wasserpumpe quietscht! Wenn Du singst, wachen wir auf: Mit den Nachtmäusen redest Du, die aus den Löchern kriechen, mit den Vögeln, die durch den Morgen fliegen! Du bist zu laut, kleine Hexe! So geht es nicht weiter: Du kannst hier nicht bleiben: Du musst Dir eine neue Wohnung suchen!"
Die kleine Hexe kniff die Augen zusammen. "Ich muss mir eine neue Wohnung suchen?" Sie stemmte die Fäuste in die Seite und lachte auf: "Ihr beide seid es, die nicht im Taubenhaus wohnen wollt. Ihr seid bei mir eingezogen, auf den warmen Schrank. Das vergesst nicht, ihr lieben Tauben: Es ist mein Häuschen."
Die Tauben glucksten, auf dem Schrank trippelten sie hin und her. "Du willst also nicht ausziehen?" Sie wackelten mit den Köpfen.
"Nein." Die kleine Hexe schüttelte den Kopf, dass die wilden Haare flogen: "Da habt ihr völlig recht: Niemals will ich ausziehen."
"Dann werden wir gehen müssen, kleine Hexe!" Die beiden Tauben zogen die Köpfe ein.
"Denn wir können hier nicht bleiben, wenn Du so laut bist: So können wir nicht weiterleben!"
Die kleine Hexe lachte, öffnete die Wohnungstür. "Dann wünsche ich Euch einen schönen Tag. Auf Wiedersehen, ihr Lieben: Schaut mal wieder vorbei, vor dem Winter."
Über die Türschwelle trippelten die beiden Tauben, mit hocherhobenen Köpfen, hinaus in den Kräutergarten, flogen sich hinauf, zum Taubenhaus: Dort hockten sie sich hin, plusterten das Gefieder auf und steckten die Köpfe zusammen.
Den ganzen Nachmittag saß die kleine Hexe vor dem Sommerfenster und strickte ein Paar Socken. Ab und zu warf sie einen Blick in den Kräutergarten, hinüber zum Taubenhaus: Da hockten die beiden Tauben und rührten sich nicht von der Stelle.
Die kleine Hexe war nicht konzentriert bei der Arbeit: Immer wieder verstrickte sie sich: Am frühen Abend waren aus den Socken nur zwei schrumpelige Topflappen geworden.
Seufzend legte sie die Wolle beiseite.
"Möchtest Du etwas essen?" fragte der alte Kater, der in der Ecke hinter der Tür wohnte. Die kleine Hexe schüttelte den Kopf. "Mir ist nicht nach Essen zumute."
Vorwurfsvoll blinzelte der alte Kater die kleine Hexe an. "Du hättest sie nicht wegschicken sollen."
Die kleine Hexe seufzte. "Ich weiß."
"Du solltest rausgehen und sie wieder hereinholen."
Die kleine Hexe seufzte ein bisschen lauter. "Ich weiß." sagte sie noch einmal.
Dann schnürte sie sich die Schuhe zu und stapfte hinaus, in den Kräutergarten.
"Und wenn ich verspreche, keine Kartoffeln mehr zu kochen, in der Nacht?"
Die beiden Tauben gaben keine Antwort, sie ruckten die Köpfe hin und her und klimperten mit den Augendeckeln.
"Und wenn ich verspreche, mich nicht zu waschen, in später Stunde: So dass die Wasserpumpe nicht quietscht?"
Die beiden Tauben gaben keine Antwort, sie plusterten ihr Gefieder auf und gurrten leise.
Die kleine Hexe kniff die Augen zusammen. Leise flüsterte sie:
"Habt ihr mich gar nicht mehr lieb?"
Die beiden Tauben ließen das Gurren sein: Sie setzten sich gerade und bekamen ganz blanke Augen. So saßen sie einen Moment, dann hüpften sie der kleinen Hexe auf den Schoß und rieben die Köpfe in ihre Arme.
Die kleine Hexe lachte leise. Sie trug die beiden Tauben zurück in das Häuschen und setzte sie auf den warmen Schrank.
An diesem Abend gingen sie alle früh ins Bett.
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